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So wollen Azubis die Berufsbildung stärken : Datum:

Was braucht es für eine exzellente berufliche Bildung? In der Aktionswoche „Bridge Days“ des InnoVET-Projekts „Bildungsbrücken OWL“ entwickelten Auszubildende konkrete Vorschläge, um die berufliche Bildung in der Region voranzubringen und gaben den Akteuren der Berufsbildung und dem Projekt neue Impulse.

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Hier fließen Gedanken und Ideen: Bei der Aktionswoche „Bridge Days“ entwickelten Auszubildende konkrete Verbesserungsvorschläge für ihre Ausbildung. Copyright: Bildungsbrücken OWL

Über Azubis wird viel gesprochen, wenn es um die Zukunft der beruflichen Bildung geht. Das InnoVET-Projekt „Bildungsbrücken OWL“ fragt die „Hauptdarsteller der Ausbildung“ lieber selbst: Was sind ihre Bedürfnisse? Was kann verbessert werden? Wo drückt der Schuh? Um herauszufinden, was die Auszubildenden in der Region Ostwestfalen-Lippe bewegt und wie sie auf ihre Ausbildung blicken, entwickelte das Projekt die Aktionswoche „Bridge Days“.

Vom 4. bis 8. April steckten 18 Auszubildende hier die Köpfe zusammen. Mit der Innovationsmethode „Design Sprint“ entwickelten sie Antworten auf die Frage: „Wie kann die Ausbildung weiterentwickelt werden, damit sie optimal auf die zukünftige Arbeitswelt vorbereitet?“ Denn das Ziel von „Bildungsbrücken OWL“ ist es, optimale Lehr- und Lernbedingungen für eine exzellente berufliche Bildung in der Region zu schaffen. Die Ideen der Auszubildenden sollen konkret zur Entwicklung flexibler Bildungskarrieren und zum Thema „Innovieren und Gründen“ beitragen. Die Erfahrungen aus der Veranstaltung nutzt das Projekt, um gemeinsame Lernformate von Auszubildenden und Studierenden weiterzuentwickeln.

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„Wir nehmen die Auszubildenden als Expertinnen und Experten ihrer selbst wahr. Sie sollen Lösungsansätze entwickeln für ihren eigenen Bedarf, ihre eigene Ausbildung.“

Birgit Schneider, Projektmitarbeiterin, TH OWL

Expertinnen und Experten in eigener Sache

„Das Neuartige an den Bridge Days ist der Fokus auf die Zielgruppe Auszubildende“, erklärt Projektmitarbeiterin Birgit Schneider. „Wir nehmen die Auszubildenden als Expertinnen und Experten ihrer selbst wahr. Sie sollen Lösungsansätze entwickeln für ihren eigenen Bedarf, ihre eigene Ausbildung.“ Vorbild der Bridge Days sind Design-Sprint-Formate, wie sie in Wirtschaft und Hochschulen für die Entwicklung von Innovationen eingesetzt werden.

Natürlich hätte das Projekt auch nur die Unternehmen oder Berufsschulen befragen können – doch dann wäre das Bild unvollständig. Schließlich sind Azubis und ihre Ausbildungsbetriebe zusammen mit den Berufsschulen die tragenden Akteure der beruflichen Ausbildung. Und gerade mit Blick auf die Attraktivität der Ausbildung ist die Sichtweise der Azubis unverzichtbar.

Betriebe stellen Azubis frei

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Mit Spaß und Ernsthaftigkeit bei der Sache: Zahlreiche Ideen wurden intensiv diskutiert. Copyright: Bildungsbrücken OWL

Für die Bridge Days stellten Betriebe in der Region 18 Auszubildende eine Woche lang frei, von Kaufleuten für Digitalisierungsmanagement über Elektroniker bis zu technischen Produktdesignern. „Für unsere Auszubildende ist es eine tolle Sache, das Format Design Sprint kennenzulernen, um Ideen und Konzepte zu entwickeln. Aber auch um ihren Bedürfnissen und ihrer Sicht auf Ausbildung Gehör zu verschaffen“, erklärt Ausbilderin Nina Hohenstein vom Sitzmöbelhersteller Freifrau GmbH & CO KG aus Lemgo.

Der Weg zu den Antworten führte das Projekt und die Azubis in die Turnhalle des Felix-Fechenbach-Berufskollegs in Detmold. Parkettboden, Holzvertäfelung an der Wand, eine Längsseite lichtoffen verglast, blaue Pinnwände. Wo sonst der Schweiß fließt, sollen jetzt die Gedanken und Ideen fließen. Aber wie kommen die Azubis von den persönlichen Erfahrungen ihrer Ausbildung zu ganz konkreten Verbesserungsvorschlägen? Immerhin wartet am letzten Tag der Bridge Days die Präsentation der Ideen vor großem Publikum im Kreistag in Detmold.

Fünf intensive Tage Arbeit

Die Rollenverteilung bei den Bridge Days sieht so aus: Das Projektteam leitet die Teilnehmenden methodisch an, aber in keiner Weise inhaltlich. „Das Ergebnis ist die pure Kreativität der Teilnehmenden“, betont Birgit Schneider. Aber bis dahin liegen fünf intensive Tage Arbeit vor allen Beteiligten:

  1. Analyse (Montag/Dienstag):
    Die Azubis analysieren ausgehend von den Erfahrungen ihrer eigenen Ausbildung den Ist-Zustand der beruflichen Ausbildung. Sie identifizieren Herausforderungen und Problemlagen und beschäftigen sich mit den Voraussetzungen und Bedürfnissen von Auszubildenden.
  2. Herausforderung (Dienstag):
    Expertinnen und Experten aus Berufsschule, Agentur für Arbeit, Hochschule und der Kammern reichern die Analyse mit Vorträgen zu ihrer Perspektive auf die berufliche Bildung und anschließender Diskussion an. Am Ende dieser Arbeitsphase formulieren die Teilnehmenden konkrete Herausforderungen als Ausgangspunkt für den weiteren Innovationsprozess.
  3. Ideation und Entscheidung (Mittwoch):
    Die Auszubildenden entwickeln in Gruppen auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse mit Kreativitätstechniken (z.B. Crazy 8, Kopfstandtechnik) verschiedene Ideen für ausgewählte, zentrale Herausforderungen. Aus der Vielzahl der Ideen wählen die Gruppen einen Lösungsansatz und arbeiten diesen als Lösungsskizze aus.
  4. Prototyping und Testen (Donnerstag):
    Um die Lösungsskizze darzustellen und sie möglichst nutzerzentriert zu gestalten, entwickeln die Azubis einen Prototyp. Da es sich bei den Lösungsansätzen um abstrakte Konzepte handelt, visualisieren sie diese mithilfe eines LEGO-Modells. Die Gruppen holen Feedback von Testpersonen zu ihren Lösungsansätzen ein, um so die Prototypen weiter zu verfeinern.
  5. Präsentation (Freitag):
    Der letzte Tag dient der Vorbereitung der Präsentationen vor einer Jury im Rahmen der Abschlussveranstaltung. Präsentiert werden sollen sowohl der Entwicklungs- und Teamprozess als auch der Lösungsansatz selbst als Prototyp.

Azubis liefern Antworten

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Optimal vorbereitet: Vor der Präsentation vor der Jury übten die Azubis ihren Auftritt ein. Copyright: Bildungsbrücken OWL

Freitag, der 8. April, Sitzungssaal des Kreistages in Detmold. 60 Gäste warten gespannt, unter ihnen die Ausbilderinnen und Ausbilder der entsendenden Unternehmen, leitende Personen aus den regionalen Bildungsinstitutionen, der Projektpartner, die Schulleitungen der Berufskollegs und die Jury aus IHK, Kreishandwerkerschaft, Agentur für Arbeit, DGB und Unternehmen.

Projektleiter Prof. Dr. Andreas Welling macht bei der Begrüßung klar, worum es dem Projekt geht: „Die Berufsbildung in Deutschland ist sehr gut an stetigen Fortschritt angepasst, aber nicht an rasanten Wandel. Das Bildungssystem muss Antworten auf diesen Wandel geben. Bildungsbrücken OWL möchte einen Beitrag dazu leisten und alle Akteure einbeziehen.“ Ihm geht es nicht nur um das System, sondern um die Auszubildenden selbst: „Für die flexible Arbeitswelt der Zukunft müssen wir die Auszubildenden vorbereiten.“ Gefragt sind Fachkräfte, die agil und kreativ Lösungen für ein Problem entwickeln können – wie mit der Methode „Design Sprint“.

Dann ist der große Moment gekommen – und den Auszubildenden gehört die Bühne. Jedes Team erklärt in einer eigenen Präsentation, welches Problem es identifiziert hat und wie es gelöst werden könnte.

Das sind die Vorschläge der Auszubildenden:

  • So möchte das Team „Kooperation können wir“ die Zusammenarbeit der beteiligten Akteure Berufsschule, Betrieb und Kammer sowie die Qualität der Ausbildung mit aktuelleren Ausbildungsinhalten und regelmäßiger Qualifizierung des betrieblichen Ausbildungspersonals verbessern. Die Azubis wünschen sich einen regelmäßigen Informationsaustausch der Akteure und eine engere Betreuung der Auszubildenden sowie ein System, mit dem Azubis den Institutionen Feedback geben können. Jurymitglied Bastian Bröckling, Ausbilder bei der Firma Phönix Contact, nahm den Vorschlag dankend an: „Ich verstehe, dass eine bessere Verzahnung stattfinden muss.“
  • Das Team „Azubi-schafft“ fordert analog zu Fachschaften an Hochschulen eine Interessenvertretung für Auszubildende. Die Ausbildungsinhalte sollen aus seiner Sicht aktuell gehalten und optimiert werden. Die Azubis wünschen sich über eine neutrale Interessenvertretung ein Mitsprachrecht bei der Gestaltung und Aktualisierung der Ausbildungsrahmenpläne. „Wir wollen Sprachrohr sein und mit Ihnen Probleme lösen“, lautet ihre Botschaft. „Es ist toll, dass sie sich beteiligen wollen und zwischen den Einrichtungen vermitteln möchten“, lobt Jurorin Barbara Schäfer von der Agentur für Arbeit.
  • In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag des Teams „Unsere Stimme zählt“. Aus seiner Sicht sind die Lehrpläne wenig aktuell und praxisnah. Auch dauere ihre Aktualisierung zu lang. Das Team fordert deshalb, dass Fachkräfte bei der Erstellung der Lehrpläne einbezogen werden sollten. Azubis wählen hierfür Abgeordnete, die bei der Arbeit an Lehrplänen dabei sind. Außerdem würden die Lehrpläne regelmäßiger überprüft. Jurorin Ina Reber vom DGB-Region Ostwestfalen-Lippe erklärte dazu: „Diese Rechte der Mitbestimmung gibt es und sie sollten genutzt werden. Betroffene Gruppen sollten einbezogen werden.“
  • Über die Ausbildung hinaus dachte das Team „Weiterbildung ist auch eine Bildung“. Sein Ziel lautet: „Wir wollen Weiterbildungsmöglichkeiten transparenter machen.“ Die Auszubildenden schlagen Projekttage im zweiten Lehrjahr an der Berufsschule vor, die Orientierung zur beruflichen Weiterbildung geben. Mit Tests können Azubis herausfinden, wo ihre Weiterbildungsinteressen liegen, es gäbe Informationen zu finanzieller Förderung und in Vorträgen stellen Fachkräfte beispielhaft Bildungsbiografien vor. Michael Wennemann (IHK Lippe zu Detmold) zeigte sich begeistert: „Gefallen hat mir die konkrete Umsetzbarkeit der Idee. Das hat mich richtig angesprochen!“
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Überzeugend präsentiert: Die Auszubildenden und das Bridge-Days-Team von „Bildungsbrücken OWL“ im Kreistag in Detmold. Copyright: Bildungsbrücken OWL

„Es hat sie selbstbewusst gemacht“

Auch Ausbilderin Nina Hohenstein war beeindruckt: „Was ich toll fand, war die Kraft der jungen Menschen, wie viel Innovationspotenzial in ihnen liegt. Für uns als Unternehmen können wir das strukturelle Denken und das Bedürfnis einer Mentorenschaft für Azubis herausholen.“ Ausbilder Thomas Lalk von der KEB Automation KG in Barntrup sagt: „Für die Azubis war es eine tolle Erfahrung. Sie können sich Gehör verschaffen und ihre eigenen Ideen mit einbringen. Grundsätzlich ist interessant, dass die Azubis viel mehr Mitspracherecht haben wollen. Und es ist klargeworden, dass die Lehrpläne angepasst werden müssen an die aktuelle Situation.“

Die Arbeit hat sich also gelohnt: Die Auszubildenden konnten ihre Interessen formulieren und dem Projekt die Anstöße liefern, die es braucht, um die Berufsbildung zu optimieren. Achim Gerling zeigte sich wenige Tage nach der Veranstaltung begeistert: „Die Intensität, mit der die Azubis und das Projektteam dabei waren, das war einfach grandios“. Und er hat beobachtet, was die Bridge Days schon jetzt bewirkt haben: „Diese eine Woche hat sie verwandelt, sie haben etwas mitgenommen und es hat sie selbstbewusst gemacht.“

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„Ich bin geflasht, wie sich die Ideen weiterentwickelt haben. Es hat sich innerhalb einer Woche so viel so schnell entwickelt. Das war super!“

Lisa Esser, Auszubildende zur Kauffrau für Digitalisierungsmanagement

Lisa Esser, Auszubildende zur Kauffrau für Digitalisierungsmanagement, kann den Eindruck bestätigen: „Ich bin geflasht, wie sich die Ideen weiterentwickelt haben. Am Anfang hätte ich mir nicht vorstellen können, dass da so gute Ideen bei rumkommen. Aber es hat sich innerhalb einer Woche so viel so schnell entwickelt. Das war super!“ Auch Christian Dunst, angehender Elektroniker für Geräte und Systeme, kann das bestätigen: „Wir haben gesehen, dass wir etwas bewirkt haben, dass unsere Präsentation gehört und verstanden wurde und zum Nachdenken angeregt hat.“

Neue Aufgaben für das Projekt

In einer Woche haben die Auszubildenden dem Projekt so zahlreiche neue Impulse gegeben. „Wir haben mit den Ergebnissen eine Tür geöffnet, wie es weitergehen kann in verschiedener Hinsicht“, sagt Birgit Schneider. „Wir schauen jetzt, was davon nachhaltig verankert werden kann, wie zum Beispiel das Konzept zum Thema Weiterbildung.“ Und Achim Gerling ergänzt: „Die Kommunikation zwischen den einzelnen Playern ist ein Thema, dem wir uns annehmen können und müssen.“

Die Erfahrungen der Beteiligten sowie die Evaluation dieser Woche helfen dem Projekt aber auch, das Format Bridge Days weiterzuentwickeln und zu verfeinern. Geht es nach Birgit Schneider und dem Projekt, machen die Bridge Days Schule: „Es ist ein kompaktes Format, das man Außenstehenden gut vermitteln kann. Es ist auf mehreren Ebenen gewinnbringend und so komplex in seiner Wirkung, dass es sich lohnt, Ressourcen in den Transfer zu stecken.“

Autor: Benjamin Dresen