Karriere-Turbo oder Wunsch-Weiterbildung : Datum:
Wer Brücken baut, überwindet Hindernisse und kommt schneller zum Ziel: Das InnoVET-Projekt „Bildungsbrücken OWL“ schlägt mit dem „Komplementarium“ den Bogen zwischen dualer Ausbildung, Fortbildung und Studium. Schon ab dem zweiten Ausbildungsjahr starten Azubis den beruflichen Aufstieg – und können dabei zwei Abschlüsse in vier Jahren erreichen und ihre Karriereoptionen entdecken.
Mindestens fünf Jahre bis zum Abschluss als Techniker oder Betriebswirt? Geht das nicht schneller?
Doch! Mit dem „Komplementarium“ des InnoVET-Projekts „Bildungsbrücken OWL“ haben zielstrebige Auszubildende ab September 2023 die Möglichkeit, in nur vier Jahren ihre Ausbildung und eine Fortbildung abzuschließen: Etwa als Elektroniker/-in und „Staatlich geprüfte/-r Techniker/-in“ oder als Industriekaufmann/-frau und „Staatlich geprüfte/-r Betriebswirt/-in (Bachelor Professional in Wirtschaft)“.
Individuelle Weiterbildung für Azubis
„Das Komplementarium ist eine individuelle Weiterbildung für duale Auszubildende in Ostwestfalen-Lippe. Wir wollen Weiterbildung schmackhaft machen und flexible Karrierewege im dualen System ermöglichen“, sagt Projektkoordinatorin Svenja Claes. Schon ab dem zweiten Ausbildungsjahr steigen die Teilnehmenden neben dem Berufsschulunterricht in die Fachschulen für Technik oder Wirtschaft ein. Zusätzlich belegen sie pro Semester ein Modul ihrer Wahl an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL).
Für diejenigen, die sich zunächst orientieren und Karriereoptionen entdecken wollen, ist das Komplementarium genauso wertvoll: Sie können während der Ausbildung die Angebote der Fachschulen und der Hochschule kennenlernen und herausfinden, was für sie das Richtige ist. Egal, ob sie sich später für Studium oder berufliche Weiterbildung entscheiden: Die Leistungen in Fachschule und Hochschule können von beiden Institutionen angerechnet werden.
Das sind auch Argumente, mit denen Unternehmen Jugendliche zunächst für eine Ausbildung und später für den Verbleib im Betrieb überzeugen können: Karriere und Bildung, das geht berufsbegleitend auf dem Land – es muss nicht das Vollzeitstudium in der Großstadt sein!
Auszubildenden bietet sich mit dem „Komplementarium“ eine attraktive Option für den schnellen Aufstieg in der Berufsbildung: Sie können in vier Jahren einen Fortbildungsabschluss erreichen, der dem Niveau 6 des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) und damit einem Bachelor-Abschluss entspricht. Und sie treffen mit den gesammelten Erfahrungen eine fundierte und individuelle Weiterbildungsentscheidung, die zu ihnen passt.
So läuft das Komplementarium
Für diese innovative Einstiegsoption in die berufliche Weiterbildung hat das Projektteam an Bord geholt: Fünf Berufskollegs, zwei davon mit Fachschule, und die TH OWL. Die Fachschulen und die Hochschule öffnen ihre Angebote für die Auszubildenden aus den Berufsschulklassen und schreiben diese offiziell an ihrer Institution ein.
Auszubildende können dann in die Kurse der Fachschulen Elektrotechnik, Maschinenbautechnik und Wirtschaft einsteigen. An der TH OWL wählen sie zusätzlich aus fünf Modulen des Studiengangs „Digital Management Solution“ mit den Themenfeldern Digitalisierung/Programmierung, BWL und Management. Diese ergänzen und vertiefen die Aus- und Fortbildungsinhalte der handwerklichen, gewerblich-technischen und kaufmännischen Berufe. Grundsätzlich steht den Teilnehmenden aber das gesamte Angebot des Juniorstudiums der Hochschule offen.
Klar ist aber auch: Diese berufliche „Extrameile“ kostet Zeit und Anstrengung während der Ausbildung. An zwei Tagen Fachschule und an einem dritten Tag Hochschule – das macht bis zu 12 Stunden in der Woche zusätzlich. Einmal im Monat gibt es außerdem ein Begleitprogramm, das den Jugendlichen hilft bei Themen wie Prüfungsstress und Zeitmanagement, Selbstorganisiertes Lernen, Rhetorik und Medienkompetenz sowie bei ihrer Weiterbildungsentscheidung. „Es ist ein dickes Päckchen“, sagt Svenja Claes.
Deshalb ist es wichtig zu wissen, wem die Mehrbelastung zuzutrauen ist, damit die eigentliche Ausbildung nicht darunter leidet. Hier kommt den Fachlehrern in der Berufsschule eine zentrale Rolle zu, denn sie kennen ihre Auszubildenden am besten: Sie haben gezielt Berufsschülerinnen und -schüler empfohlen, denen sie diese Mehrbelastung zutrauen. Zusätzlich beraten sie individuell, welche Fachschule und welches Hochschulmodul sich am besten eignet.
Anrechenbarkeit geklärt
Damit die Brücke zu Karriere-Turbo oder Wunsch-Weiterbildung funktioniert, werden die erbrachten Leistungen in Fachschule und Hochschule gegenseitig angerechnet: Für die Hochschule ist grundsätzlich geregelt, dass 30 Credits angerechnet werden können, die in einem anderen Bildungsgang erworben wurden. Die Studienmodule sind für verschiedene Studiengänge anrechenbar und wurden dafür ausgewählt. Ähnlich, aber doch anders, ist es im Fachschulunterricht. Hier liegt es im Ermessen der Schulleitungen zu entscheiden, was angerechnet werden kann. „Diese Freiheit wird sehr unterschiedlich ausgelegt“, berichtet Svenja Claes. Hier waren viele Abstimmungen und Überzeugungsarbeit notwendig.
Betriebe: Weiterbildung geht auch vor Ort
Für die Ausbildungsbetriebe bedeutet das Angebot keine Mehrbelastung, da die Azubis nicht im Unternehmen oder der Berufsschule freigestellt werden müssen. Um mitzunehmen, aufzuklären, und die Vorteile darzustellen, bespricht das Projektteam der Bildungsbrücken OWL die Teilnahme der Azubis aber auch detailliert mit den Betrieben.
Hier trifft das Bildungsbrücken OWL-Team auf eine große Offenheit für das Angebot: „Die Auszubildenden sollen das gern machen, bevor sie sich für ein Vollzeitstudium entscheiden und dem Betrieb verloren gehen“ oder „Die sollen mal ins Studium schnuppern und schauen, ob das etwas für sie ist, oder doch lieber die berufsbegleitende Fachschule“ – so lauteten beispielsweise zwei Rückmeldungen aus Ausbildungsbetrieben.
Bei den Unternehmen besteht zudem die Hoffnung, dass ihre Auszubildenden entdecken, dass sie sich parallel zum Beruf weiterbilden können und nicht den Betrieb verlassen müssen. Denn gerade auf dem Land besteht das Problem: Junge Leute machen vor Ort die Ausbildung und gehen für den nächsten Schritt in die großen Städte. Für die Unternehmen zeigt das Komplementarium: Ob Fachschule oder Studium – Weiterbildung geht auch vor Ort!
Gute Aussicht auf Verstetigung
Die Chancen für die Verstetigung in der Region Ostwestfalen-Lippe stehen gut, denn bei den Bildungsinhalten greift das Projektteam auf bereits vorhandene und etablierte Angebote zurück. Geklärt wird aktuell noch, wie auch das Begleitprogramm dauerhaft angeboten werden kann, da es von den Projektpartnern geleistet wird. „Wir sind optimistisch, dass es vor Ort weitergeht“, sagt Svenja Claes.
Für die Ausweitung auf andere Regionen kann sie sagen: „Es braucht Bildungspartner, Berufskollegs, Hochschulen und Unternehmen, die das gleichermaßen wollen.“ Das sei je nach Region differenziert abzuschätzen.
Denn Brücken zwischen gleichwertigen aber andersartigen Bildungsbereichen zu bauen, das kostet Zeit, Energie und viel gegenseitiges Verständnis. Aber es lohnt sich!
Autor: Benjamin Dresen