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Zug um Zug in eine Schlüsselposition : Datum:

Ohne sie rollt nichts auf der Schiene: Disponentinnen und Disponenten spielen im Eisenbahngüterverkehr eine entscheidende Rolle – denn sie planen die Fahrten und koordinieren die Züge eines Bahnunternehmens. Allerdings: Eine geregelte Aus- oder Weiterbildung gibt es für diese wichtige Aufgabe bisher nicht. Das InnoVET-Projekt „Bottom up statt Top down – Fachkarrieren neu gedacht“ ändert das gerade.

Bahnbetrieb im Güterverkehr optimal organisieren

Stefan Nemack und Thomas Hoffmann vom Eisenbahnverkehrsunternehmen „ArcelorMittal Eisenhüttenstadt Transport GmbH“ erklären, welche Aufgaben Disponentinnen und Disponenten im Güterverkehr übernehmen und was sie sich von der neuen Fortbildung versprechen.

„Alle reden von Verkehrswende. Aber die muss halt auch jemand machen und können.“ Stefan Nemack hat da eine ziemlich klare Meinung. „Und der Disponent macht, der schafft Fakten“, sagt der Geschäftsführer des Eisenbahnverkehrsunternehmens „ArcelorMittal Eisenhüttenstadt Transport GmbH“.

Denn Verkehrswende, das ist nicht nur der individuelle Umstieg vom Verbrenner aufs E-Auto oder den ÖPNV, sondern auch im Gütertransport von der Straße auf die Schiene: Container aus Lünen holen, Gips nach Stralsund fahren.

Disponentinnen und Disponenten spielen dabei eine wichtige Rolle, denn bei ihnen laufen die Fäden in Eisenbahnunternehmen zusammen: Sie planen den Einsatz von Lokführerinnen und Lokführern, Lokomotiven und Waggons so, dass die Güter pünktlich am Ziel sind. Sie entscheiden, welcher Auftrag im Zweifel wichtiger ist und kommunizieren das Kunden und Mitarbeitern. Sie finden die kürzeste Route zum Ziel und bestellen die Bahntrasse und den Strom. Sie organisieren Ersatz, wenn die Lokomotive unterwegs ausfällt. Sie machen bei kurzfristigen Anfragen auch diese Fahrt noch möglich. „Der Disponent entscheidet, ob das eine gute oder eine schlechte Woche wird“, sagt Stefan Nemack.

Die Qualifizierungslücke schließen

Umso erstaunlicher ist: Eine geregelte Aus- oder Weiterbildung für diese Tätigkeit gibt es nicht. Bei vielen Qualifikationen im Bahnbereich stehen – richtigerweise – Sicherheitsaspekte im Fokus. Unternehmensleistung und Kundennutzen werden bislang kaum berücksichtigt. Aufgaben der Disposition übernehmen oft verdiente Lokführerinnen und Lokführer, für die Kuppeln und Rangieren körperlich zu anstrengend geworden ist. Sie werden von ihrem Vorgänger oder ihrer Vorgängerin angelernt, und von deren Kenntnissen hängt ihre Fähigkeiten ab.

Das InnoVET-Projekt „Bottom up statt Top down“ will das ändern und erprobt seit Mitte Februar die Fortbildung „Fachexpert*in für Disposition im Güterverkehr (Eisenbahn) (IHK)“ mit neun Teilnehmenden. Fachkräfte können sich damit zielgenau für diese Schlüsseltätigkeit qualifizieren. Der Erlass einer besonderen Rechtsvorschrift als „Geprüfte/-r Berufsspezialist/-in“ wird im Kammerbezirk angestrebt.  „Wir wollen mit diesem Abschluss eine bundeseinheitliche Regelung herstellen“, sagt Ronald Bloch vom Verbundpartner IHK-Projektgesellschaft Ostbrandenburg.

Großer Markt für neues Angebot

Der Markt für die Fortbildung ist groß: In Deutschland sind im europäischen Vergleich die mit Abstand meisten Eisenbahnverkehrsunternehmen aktiv, allein 163 waren es laut Bundesnetzagentur 2022 im Schienengüterverkehr. Gleichzeitig steigt der Marktanteil privater Anbieter stetig und lag im vergangenen Jahr bei 58 Prozent der Verkehrsleistung im Schienengüterverkehr.

Zugleich ist Ziel des Koalitionsvertrages, den Anteil der Bahn an der Transportleistung von derzeit 19 Prozent auf 25 Prozent im Jahr 2030 zu erhöhen. Denn der Gütertransport auf der Schiene ist deutlich klimafreundlicher: Er verursacht 75 Prozent weniger CO2-Emissionen als mit dem Lkw, wie das Umweltbundesamt 2021 festgestellt hat.

Qualifizierung für den regionalen Bedarf – Karrierewege sichtbar machen

Marit Tänzel vom Qualifizierungscentrum der Wirtschaft Eisenhüttenstadt (QCW) berichtet, wie das Projekt das Fortbildungangebot auf den Bedarf in der Region zugeschnitten hat und welche Ziele es damit verfolgt.

Dreistufige Fortbildung für unterschiedliche Vorkenntnisse

Die Fortbildung für einen leistungsstarken Güterverkehr auf der Schiene setzt sich aus drei IHK-Zertifikatskursen von je 160 Stunden zusammen. So können die Lerninhalte ideal an die Vorkenntnisse der Teilnehmenden angepasst und deren Karrierewege individuell gestaltet werden: Auszubildende im dritten Lehrjahr und Quereinsteigende starten mit der Grundstufe, erfahrenes Eisenbahnpersonal steigt in der Aufbau- oder Anwenderstufe ein. Hilfreich ist es, wenn die Teilnehmenden selbst Erfahrung als Lokführerin oder Lokführer mitbringen oder zumindest aus dem Eisenbahnbereich kommen. Sie kennen so die Perspektive der Kolleginnen und Kollegen, die sie später koordinieren.

In der Grundstufe geht es um die Basics, um Arbeitsorganisation und Vertrieb, um Zeit- und Prioritäten- und Auftragsmanagement, um die Frage: Wie funktioniert Logistik im Schienengüterverkehr? Auch Kommunikation spielt eine große Rolle, denn Anweisungen geben will gelernt sein. Wichtig für die Arbeit ist die Dispositionssoftware, die den Alltag erleichtert. Die Teilnehmenden lernen, wie sie Zugfahrten planen, und was die Unterschiede von Güterverkehr auf Schiene, Wasser und Straße sind. Und auch Fuhrparkmanagement steht auf dem Lehrplan mit einem Überblick über die verschiedenen Lokomotiven und Waggons.

In der Aufbau- und Anwenderstufe, die aktuell in Entwicklung sind, werden die Inhalte zunehmend spezifischer. So sind zwar die Grundlagen für Disponenten draußen im Streckenverkehr dieselben wie im Rangierdienst einer Werksbahn, etwa im Stahlwerk. Aber je mehr es in die praktische Anwendung geht, desto mehr wird sich der Kurs entsprechend dem eigenen Einsatzgebiet aufteilen. „40 Stunden der Anwenderstufe sollen direkt am eigenen Arbeitsplatz stattfinden, um das Gelernte in der Praxis anzuwenden“, kündigt Marit Tänzel vom Qualifizierungscentrum der Wirtschaft Eisenhüttenstadt (QCW) an. Vermittelt werden die Inhalte zu drei Vierteln in Präsenz und zu einem Viertel im Online-Seminar.

Unternehmen als Arbeitgeber attraktiver – neue Optionen zur Personalentwicklung

Die Unternehmen wollen mit der Fortbildung ihr Personal passgenau und umfassend für die komplexen Aufgaben der Disposition weiterbilden und erhalten zugleich mehrere Optionen zur Personalentwicklung:

  • Sie können bereits aktiven Disponentinnen und Disponenten die Tätigkeit strukturiert, qualitätsgesichert und fachlich auf dem neuesten Stand vermitteln.
  • Bewährte Fachkräfte können sich im Unternehmen für eine neue Aufgabe mit großem Bedarf qualifizieren – statt einen Meisterabschluss zu machen, für den es im Unternehmen häufig keine freie Stelle gibt.
  • Jugendlichen und potenziellen Azubis können die Unternehmen von Anfang an eine neue Entwicklungsmöglichkeit nach dem Facharbeiterabschluss aufzeigen.

Das sagen die Teilnehmenden

Teilnehmerin Lisa Karas arbeitet seit einem Jahr in der Sachbearbeitung eines Güterbahnhofs mit vielen Dispositionsaufgaben. „Als ungelernte Eisenbahnerin fehlen mir bestimmte Grundlagen und ich möchte mehr Ordnung bekommen im operativen Alltag. Die Themen Organisation und Stressbewältigung interessieren mich sehr“, berichtet sie und lobt: „Der Kurs ist sehr interaktiv angelegt und der Dozent hatte sehr viel Praxiserfahrung“.

Teilnehmer Jeremy Klaus etwa macht gerade im dritten Lehrjahr seine Ausbildung zum Eisenbahner im Betriebsdienst Fachrichtung Lokführer und Transport. Er sagt: „Meine Motivation ist, mir beruflich ein zweites Standbein zu schaffen. Der Plan ist, zuerst die Ausbildung fertig zu machen und danach noch mehr dazuzulernen und den Disponenten abzuschließen.“ Geschäftsführer Stefan Nemack freut sich über das Angebot: „Die Fortbildung ist ein schöner Baustein, um uns als Arbeitgeber attraktiver zu machen“. Er betont: „Ich möchte die Leute langfristig an uns binden. Die Teams müssen eingespielt sein, damit der Betrieb funktioniert.“

Der erste Durchlauf wird im Juli 2023 abgeschlossen. Der nächste Kurs ist ab Herbst 2023 geplant. „Wir haben eine größere Anzahl von Unternehmen, die nur darauf warten, ihre Fachkräfte anzumelden“, berichtet Marit Tänzel.

Gut möglich also, dass es in Zukunft viele neue Macherinnen und Macher der Verkehrswende auf der Schiene gibt.

Gesamtprojekt „Bottom up statt Top down – Fachkarrieren neu gedacht“

Der „Fachexperte für Disposition im Güterverkehr“ ist ein Ergebnis des InnoVET-Projekts „Bottom up statt Top down – Fachkarrieren neu gedacht“, um attraktive Karrierewege für den regionalen Bedarf in Ostbrandenburg zu schaffen.

Ein zweiter Baustein ist die Fortbildung „Fachexpert*in für Additive Fertigung“. Teilnehmer können sich hier in drei Zertifikatslehrgängen zur Fachkraft für 3D-Druck qualifizieren. Der Kurs soll am 4. September 2023 starten.

Autor: Benjamin Dresen