Das war die InnoVET-Fachkonferenz 2024
Gemeinsam die Berufsbildung stärken und einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten: Die InnoVET-Fachkonferenz am 6. November in Berlin präsentierte die besten Ergebnisse der InnoVET-Projekte, gab den Startschuss für die neuen InnoVET PLUS-Projekte und zeigte, wie der Transfer von Innovationen in die Praxis gelingt.
Auf der InnoVET-Fachkonferenz am 6. November in Berlin erfuhren die Gäste mehr über innovative Produkte und Lösungsansätze für die Berufsbildung von morgen. Im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) präsentierten die 17 InnoVET-Projekte der ersten Generation (2020-2024) über 50 erprobte Produkte und Konzepte zur Stärkung der Berufsbildung. Es gilt nun, diese nachhaltig zu verankern und in andere Regionen, Branchen und Berufe zu transferieren. Am Nachmittag fiel der offizielle Startschuss für die 28 neuen InnoVET PLUS-Projekte.
Begrüßung
„Kümmern Sie sich in guten Zeiten um Innovationen, dann bleiben Ihnen schlechte Zeiten erspart.“ Mit diesem Appell für Innovationen begrüßte die Unterabteilungsleiterin Berufliche Bildung im BMBF, Dr. Catrin Hannken, die Teilnehmenden der InnoVET-Fachkonferenz. Die Berufsbildung müsse innovativer werden, und gerade digitale Technologien stellten eine Herausforderung dar. Zudem brauche es gut qualifizierte Fachkräfte, die die digitalen, ökologischen und sozialen Transformationsprozesse gestalten.
Nach dem Aufruf des BMBF im Innovationswettbewerb InnoVET im Jahr 2019 zur Entwicklung kreativer Konzepte für die Berufsbildung starteten 2020 17 Projekte. „Heute können wir Ihnen über 50 ausgewählte Produkte vorstellen.“ Dr. Catrin Hannken dankte den Projektmitarbeitenden, den Projektpartnern und allen beteiligten Akteuren vor Ort im Namen des BMBF für ihre Innovationsarbeit. Jetzt gelte es, die Produkte bekannt zu machen und ihre Übernahme und Adaption zu ermöglichen. Sie motivierte die Gäste, die Produkte für sich zu nutzen und zum Transfer beizutragen.
Auftaktrunde: „So stärkt InnoVET die Berufsbildung – drei Innovationen und ihr Weg in die Praxis“
ProNet Handwerk: Digitales Prüfen im Handwerk
Anke Hallwaß vom InnoVET-Projekt ProNet Handwerk stellte die UCAN Prüfungssoftware für das Handwerk vor. Sie wurde aus dem Medizinbereich für das Handwerk angepasst. Ihre Vorteile: Ausfallsicherheit, rechtsbeständige Dokumentation, eine Aufgabendatenbank, flexible Auswertung sowie Qualitätssicherung.
Mit der Prüfungssoftware wurden bis Ende Oktober 2024 bereits 2116 Prüfungen im Handwerk abgenommen. Neun Kammern nutzen sie im Echtbetrieb, in zwölf Organisationen läuft die Einführung und weitere neun werden aktuell beraten.
Alexander Dirks von der HWK Mannheim nutzt die Software bereits für die Prüfungen zum Ausbilderschein. Er berichtete von der schrittweisen Einführung und der intensiven Begleitung und Vorbereitung durch die Zentralstelle für Weiterbildung im Handwerk. Er hob hervor, dass die Software ressourcenschonend sei und die Dokumentation erleichtere. „Ich würde die Software definitiv anderen empfehlen“, so Dirks.
Dr. Hendrik Voß vom Zentralverband des Deutschen Handwerks lobte die für den Breitentransfer günstige Projektstruktur mit der Zentralstelle für Weiterbildung im Handwerk als zentralem Akteur. Das Projekt sei eine gute Blaupause, wie Produkte vor Ort in der Praxis getestet werden können und dabei auch die Grenzen digitaler Tools festzustellen. „Wir freuen uns über andere Wirtschaftsbereiche, die die Software nutzen. Die ZWH steht für Gespräche zur Verfügung“, so Voß.
SiA-NRW: Studienintegrierende Ausbildung in Nordrhein-Westfalen
Andrea Schlichting vom InnoVET-Projekt SiA NRW stellte die Studienintegrierende Ausbildung (SiA) in Nordrhein-Westfalen vor: Junge Menschen mit Hochschulzugangsberechtigung nehmen eine duale Berufsausbildung auf und studieren integriert einen Bachelor-Studiengang. Ausbildungs- und Studieninhalte werden so verzahnt, dass Redundanzen vermieden werden. Der Unterricht in der Berufsschule wird auf das Niveau der Hochschule angehoben, erbrachte Leistungen werden auf das Studium angerechnet. So sind Berufs- und Bachelorabschluss in vier Jahren möglich. Aktuell wird die Studienintegrierende Ausbildung für 18 Berufe an 13 Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen angeboten, 250 Auszubildende und 50 Unternehmen sind beteiligt. Derzeit gibt es rund 20 Interessensbekundungen vor allem von Berufskollegs und Hochschulen, die SiA zukünftig ebenfalls anzubieten.
Schulleiterin Simone Menser-Dargel vom Berufskolleg Jülich erklärte ihre Motivation, sich zu beteiligen: „Wir wollten uns positionieren und mit Unterricht auf Hochschulniveau das Ansehen der Berufskollegs stärken“. Für Unternehmen biete das Modell den Vorteil, dass sie ihre Fachkräfte selbst generieren können, statt Hochschulabsolventen von außen gewinnen zu müssen.
Fabian Schröder absolviert eine Ausbildung zum Industriemechaniker in Kombination mit einem Maschinenbaustudium. „Es ist eine sehr positive Erfahrung, ich erfahre viel Unterstützung von allen.“ Er und seine Kommilitonen würden die Entscheidung wieder so treffen. „SiA ist ein ideales Produkt, was junge Menschen von beiden Seiten ansprechen kann.“ Er wünscht sich, dass noch mehr junge Menschen von dem Angebot erfahren und man ihnen die Angst vor Überforderung nimmt.
Für Barbara Molitor vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen ist die SiA „der Lückenschluss, der uns noch gefehlt hat“. Junge Menschen, die sich unsicher sind, vermeiden Scheiternserfahrungen. Unternehmen können sich mit SiA-Ausbildungsplätzen als attraktiv positionieren. Das Land Nordrhein-Westfalen will die SiA-Geschäftsstelle fortsetzen. Anderen interessierten Länder bot sie Unterstützung an, um das Modell dorthin zu transferieren.
KI B³: Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen in der Berufsbildung
Dr. Anne Zühlke vom InnoVET-Projekt KI B³ stellte die Zusatzqualifikation (ZQ) „Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen“ vor. Sie führt bereits Auszubildende unterschiedlichster Berufe an das Thema datenbasierte KI heran und zeigt ihre Chancen und Risiken auf. Das Angebot nutzten bereits acht Berufsschulen in den IHK-Bezirken Stuttgart, Karlsruhe und Reutlingen und insgesamt 250 Azubis. Nächstes Schuljahr sollen es bereits 14 Berufsschulen sein. Die ZQ ist die erste Stufe in einem dreistufigen Modell: Anschließend kann die Qualifikation zu einem Geprüften Berufsspezialist und einem Bachelor Professional erweitert werden, die jeweils aufeinander aufbauen.
Beyza Nur Yildiz hat die Zusatzqualifikation während ihrer Ausbildung an der IHK Reutlingen absolviert. Sie wird nun bereits als KI-Expertin von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen um Rat gefragt. Julia Flasdick von der Deutschen Industrie- und Handelskammer lobte: „Mit diesem Angebot ist ein Upskilling für die Belegschaften in den Unternehmen möglich. Es ist niedrigschwellig und baut Berührungsängste ab.“
Michael Mühlegg vom IHK Bildungshaus der IHK-Region Stuttgart hat die Zusatzqualifikation in einen Zertifikatskurs überführt, der bundesweit als Online-Angebot verfügbar ist: Denn auch unter berufstätigen Fachkräften bestehe ein enormer Bedarf bei dem Thema. Der Zertifikatskurs ist für ihn der Einstieg in das Thema, denn sein Haus bietet auch die beiden darauf aufbauenden höheren Abschlüsse an.
Dr. Anne Zühlke betonte, dass die entwickelten Materialien Open Source verfügbar sind: „Jeder kann sie nutzen, bearbeiten und eigene Kurse daraus bauen.“ Sie wünscht sich, dass noch mehr IHKs die entwickelten Rechtsvorschriften erlassen und dass die Inhalte bundesweit genutzt werden.
Produktmesse mit Kurzvorträgen
Bei der Produktmesse stellten InnoVET-Projekte an den Ständen ihre über 50 entwickelten und erprobten Produkte und Konzepte vor. Hier bot sich für die Besucherinnen und Besucher die Gelegenheit, sich von den Entwicklungen inspirieren zu lassen, Gespräche zu vertiefen und Kontakte für den Transfer von Ideen und Konzepten zu knüpfen.
16 Impulsvorträge der Projektteams gaben Einblicke in ausgewählte Themen (Präsentationen zum Download):
Keynote: „Die Exzellenzinitiative Berufliche Bildung – Bilanz und Perspektive“
Nach der Produktmesse eröffnete der (nun ehemalige) Parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg seine Keynote „Die Exzellenzinitiative Berufliche Bildung – Bilanz und Perspektive“ mit einem Zitat von Theodore Levitt: „Kreativität bedeutet, sich neue Dinge auszudenken. Innovation bedeutet, neue Dinge zu machen.“ Die Dachmarke Exzellenzinitiative Berufliche Bildung des BMBF habe aufgrund des Namens Widerstände hervorgerufen, die aber mittlerweile überwunden werden konnten. Im Kern geht es bei der Exzellenzinitiative darum, die Berufsbildung mit verschiedenen Maßnahmen individueller, innovativer und internationaler zu machen.
Talk- und Diskussionsrunde: „Exzellenz und Innovation in der Beruflichen Bildung“
Die Podiumsrunde gab die Gelegenheit, diese Themen zu vertiefen. Beim Thema Berufsorientierung kündigte Jürgen Böhm für die Kultusministerkonferenz (KMK) an, die Bundesländer würden sich neuen Konzepten der Berufsorientierung nicht verweigern. Christina Ramb (BDA) ergänzte hier, es sei notwendig den „Lernort Unternehmen“ für junge Menschen noch attraktiver zu machen. Dabei gehe es auch um praktische Aspekte der Gleichwertigkeit mit dem Studium wie Mobilität und Wohnen. Für Jan Krüger (DGB) zählen hierzu auch der Umgang mit Überstunden, ein betrieblicher Ausbildungsplan sowie internationale Mobilität. Holger Schwannecke (ZDH) betonte, dass bei der Gleichwertigkeit alle Akteure gefordert seien, um die Sichtweise auf Studium und Ausbildung zu verändern. Jens Brandenburg bilanzierte, die InnoVET-Ergebnisse machten Mut, räumte beim Thema Gleichwertigkeit aber ein: „Beim Abbau von Vorurteilen haben wir noch viel zu tun.“
Mit Blick auf die Erkenntnisse aus InnoVET stellte Holger Schwannecke fest, dass es nicht leicht sei, neue Fortbildungsabschlüsse an die Interessenten zu vermitteln. Eine Kampagne könnte daher sinnvoll sein. Achim Dercks (DIHK) brachte einen Zuschuss für die Etablierung der neuen Angebote am Markt ins Spiel. Es sei wichtig, Verkauf und Marketing der Produkte noch mehr mitzudenken. Christina Ramb betonte: „Wir müssen aus den Projekten und den Erkenntnissen lernen und in den Transfer gehen.“ In den Projekten sollten alle Player von Anfang an eingebunden werden. Jürgen Böhm betonte die neuen Chancen, die sich für die Ländern ergeben haben. Er wolle die Ergebnisse in der KMK einbringen.
Die Teilnehmenden gaben den neuen Projekten ihre Empfehlungen mit:
- „Nutzen Sie InnoVET PLUS als Innovationslabor, um Dinge auszuprobieren.“ (Jens Brandenburg)
- „Seien Sie mutig, brechen Sie aus den Strukturen aus.“ (Jürgen Böhm)
- „Denken Sie bei Exzellenz breit und schaffen Sie Angebote für alle.“ (Achim Dercks)
- „Schauen Sie links und rechts vom Weg, mit wem Sie sich verbünden können.“ (Jan Krüger)
- „Vertrauen Sie in die Kompetenzen derer, denen Berufsbildung am Herzen liegt.“ (Holger Schwannecke)
Auftakt InnoVET PLUS
Moderatorin Carina Jantsch präsentierte dem Publikum die neuen fünf Themencluster vor, in denen die 28 neuen InnoVET PLUS-Projekte aktiv sein werden:
- Digital lernen – KI-Chancen nutzen: Virtuelle Lernangebote für die Aus- und Weiterbildung, die auch auf Künstliche Intelligenz setzen.
- Energiewende schaffen: Qualifizierungsangebote für den Umstieg auf Erneuerbare Energien
- Exzellent aus- und weiterbilden: Innovative Ansätze der Aus- und Weiterbildung für Bildungspersonal, Lernorte, Auszubildende und Fachkräfte
- Einstieg in Berufsbildung gestalten: Konzepte, die Teilhabe an Aus- und Weiterbildung ermöglichen.
- Gleichwertigkeit stärken: Aufstiegsfortbildungen, die gleichwertig mit Hochschulabschlüssen sind.
Anschließend stellten sich vier InnoVET PLUS-Projekte dem Publikum vor:
Alfonso D’Avanzo und Viktor Kauz von der Balthasar-Neumann-Schule in Bruchsal präsentierten das Projekt H2K - Wasserstoff Kompetenzzentrum Bruchsal. Hier entsteht in einem Container ein Wasserstoffkraftwerk im Labormaßstab und ein Lernkonzept, mit dem Auszubildende verschiedener Berufe an den Umgang mit dem neuen Energieträger vorbereitet werden. Ein digitaler Zwilling ermöglicht als virtuelle Simulation die deutschlandweite Nutzung des Angebotes.
Fachkräfte für die grüne Stahlproduktion aus- und weiterbilden – das ist das Ziel vom Projekt GreenSteelSkills. Dr. Dirk Werth vom August-Wilhelm-Scheer-Institut stellte anschaulich vor, wie er und sein Team bestehende und zukünftige Fachkräfte für die Produktion von nachhaltig produziertem Stahl auf Wasserstoffbasis fit machen wollen: Hierzu entsteht ein agiles Qualifizierungskonzept mit individualisierten Bildungsangeboten und eine KI-basierte, adaptive Lernplattform.
Bettina Wilhelm von der Zentralstelle für Weiterbildung im Handel will im Projekt Close the Gap für Zugewanderte die Lücke zwischen Sprach- und Integrationskursen und Ausbildung und Beschäftigung im Handel schließen. Im Projekt entsteht ein Verfahren, um Bildungsverläufe zu dokumentieren, was auch das Recruiting für Unternehmen erleichtern soll. Ein KI-gestützter Lernnavigator soll der Zielgruppe passende Unterstützungsangebote vorschlagen.
Wie die Chancen für einen „Berufsdoktor“, also einen beruflichen Abschluss auf Promotionsniveau stehen, will Rolf Rehbold vom Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk im Projekt DQR8-BB-Exzellenz herausfinden. Hier entsteht ein Konzept, wie ein solches Verfahren zur Anerkennung beruflicher Spitzenleistungen gestaltet sein kann, damit es praktikabel ist, sowie Vorlagen für eine mögliche Übernahme ins Berufsbildungssystem.
Im Anschluss gab der damalige Parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg den Startschuss für die neuen Projekte.
Lessons Learned: So gelingen Innovation und Transfer
Prof. Dr. Hubert Ertl vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) stellte die wichtigsten Ergebnisse der InnoVET-Begleitforschung zu Innovation und Transfer vor. Er empfahl den neuen InnoVET PLUS-Projekten, sich frühzeitig mit der Balance von Innovation und Transfer auseinanderzusetzen und zu klären, welche Art des Transfers angestrebt werde.
Förderlich für Transfer seien unter anderem regelmäßige Transferveranstaltungen, die Einbeziehung von Externen als „Transfer-Broker“ und die rechtzeitige Einbeziehung potenzieller Transfernehmender. Notwendig sei außerdem ein professionelles Marketing und die Zusammenarbeit von Projekten untereinander. Ertl schränkte mit Blick auf die Wirksamkeit ein, dass das System Berufsbildung insgesamt durch ein Förderprojekt nicht verändert werden könne – hier brauche es politische Unterstützung. Den neuen InnoVET PLUS-Projekten riet er, die Produkte iterativ in Entwicklungszyklen zu verbessern, Transfernehmende systematisch einzubinden, das interne Transferverständnis zu klären und Transferkonzepte frühzeitig mit Leben zu füllen.
In der anschließenden Diskussionsrunde berichtete Britta Robels (VDV-Akademie/InnoVET-Projekt UpTrain) von ihren Erfahrungen und Lösungsansätzen. „Denken Sie jetzt schon an den Tag, wo das Projekt endet und die Ergebnisse in die Wirtschaftlichkeit müssen“, riet sie. Bewährt habe sich besonders zu Netzwerken und ab dem Projektstart Experten aus der Praxis einzubeziehen. Zudem seien Marketing und Öffentlichkeitsarbeit nicht zu unterschätzen: „Sprechen Sie viel darüber, nutzen Sie jeden Kanal!“
Beim Rat an die neuen Projekte empfahl Dr. Hendrik Voß (ZDH), den Transfergedanken in tradierten Strukturen des Berufsbildungssystems früher einzubringen. Dr. Catrin Hannken (BMBF) ermutigte die Projekte ebenfalls, den Kontakt zu suchen: „Fordern Sie uns, treten Sie mit neuen Ideen an uns heran.“ Timo Gayer (IG Metall) empfahl den Projekten Gelassenheit, wenn Prozesse länger dauern. Und Britta Robels schloss: „Halten Sie durch, glauben Sie an Ihre Innovation!“