„Mit dem Ohr am Markt“: So bleiben Fortbildungen zum Zukunftsthema Elektromobilität aktuell : Datum:
Im InnoVET-Projekt „BexElektro“ entwickeln drei Bildungsanbieter gemeinsam Fortbildungen für Berufe der Elektrotechnik zur Elektromobilität – vom Geprüften Berufsspezialisten bis zum Master Professional. Neue technologische Trends will das Projektteam früher erkennen und aufgreifen. Wie das gelingt, erklärt Verbundkoordinatorin Dr. Josephine Hofmann im Interview.
Inno-vet.de: Bitte beschreiben Sie in wenigen Sätzen: Was steht im Mittelpunkt Ihres Projektes BexElektro?
Dr. Josephine Hofmann: Im Mittelpunkt steht der Aufbau eines modularen Bildungsangebots im Themenbereich Elektromobilität, Smart Home und regenerative Energien für Berufe der Elektrotechnik. Wir wollen dazu beitragen, den immensen Fachkräftebedarf zu decken und auch Quereinsteiger zu qualifizieren.
Das Ganze ist aus mehreren Gründen attraktiv, auch im Vergleich zu akademischen Angeboten: Die Angebote sind in Modulen aufgebaut, die Lernenden können individuelle Pfade nutzen und erworbene Kompetenzen werden durch ein Credit-System angerechnet. Zudem wollen wir den Beweis antreten, dass man in Kooperation mit mehreren Bildungsanbietern in agilen Prozessen neue Themen schnell aufnehmen und in einem kürzer getakteten Rhythmus in Bildungsprodukte umsetzen kann. Stellen Sie sich vor, es gäbe eine neue Steckdosenform für Elektroautos. Die Bildungsanbieter müssen dann die unternehmerische Entscheidung treffen: Investieren wir in ein neues Bildungsprodukt zu dem Thema?
Inno-vet.de: Wie funktioniert das von Ihnen angesprochene modulare Bildungsangebot?
Dr. Josephine Hofmann: Sie können sich das vorstellen wie eine Bildungspyramide. Wir haben hier Bildungsangebote von der DQR-Stufe 3 bis zur DQR-Stufe 7 zu unterschiedlichen fachlichen Schwerpunkten. Das fängt an bei Angeboten für Schüler, um diese für die Berufe zu interessieren, fährt fort bei Bildungsangeboten für Auszubildende und reicht bis zu Fachkräften. Der Schwerpunkt liegt auf Angeboten für berufserfahrene Fachkräfte mit drei neuen „Geprüften Berufsspezialisten“ für „Ladeinfrastruktur-Systeme“, für „Gebäudesystemintegration“ und für „erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Energiemanagementsysteme“, gefolgt von einem „Bachelor Professional“ und einem „Master Professional“ auf den DQR-Stufen 5 bis 7.
Inno-vet.de: Was wird damit möglich?
Dr. Josephine Hofmann: Das Ganze ist so angelegt, dass die Nutzer pro Modul Credit Points erwerben und damit schrittweise die notwendigen Lernleistungen erbringen, um auf die entsprechende DQR-Stufe mit den dazugehörigen Abschlüssen zu kommen. Sie können das schrittweise abarbeiten und über einzelne Module Schwerpunkte setzen, die dem aktuellen Bedarf der Betriebe und den individuellen Neigungen entgegenkommen. Durch die Erreichbarkeit der DQR-Stufen 6 und 7 wollen wir ein Angebot schaffen, das so attraktiv ist wie die akademische Bildung.
Inno-vet.de: Wie sieht der Bedarf der Unternehmen aus?
Dr. Josephine Hofmann: Unsere Partnerbetriebe haben uns signalisiert, dass sie Qualifizierungsangebote suchen, die die aktuellen Bildungsbedarfe decken, um etwa Ladesäulen für E-Autos montieren zu dürfen, die aber auch die einzelnen Mitarbeitenden zur Qualifizierung motivieren können. Mit Blick auf den Fachkräftemangel war und ist es auch wichtig, Quereinsteigern niedrigschwellige und gut verwertbare Angebote zu machen.
Inno-vet.de: Welche Rolle spielt Bex Elektro für die Branche der Elektrotechnik insgesamt? Welche Relevanz hat das Projekt vor dem Hintergrund der Mobilitätswende zu elektronisch angetriebenen Fahrzeugen?
Dr. Josephine Hofmann: Wir haben eindeutig einen Fachkräftemangel im ganzen Bereich der Elektromobilität, der regenerativen Energien, Smart Home – und die Herausforderungen des Klimawandels werden diesen noch wachsen lassen. So ist beispielsweise die Installation von Wallboxen und Ladepunkten ein Flaschenhals in der Entwicklung klimafreundlicher Elektromobilität. Es gibt einen großen Bedarf für dieses Projekt, da die damit unterstützten Technologien und Systemlösungen von sehr hoher volkswirtschaftlicher Relevanz sind.
Es ist außerdem eine Chance und Option für mittelständische Bildungsanbieter und Handwerksbetriebe, gegenüber der akademischen Konkurrenz Boden gut zu machen und attraktive Entwicklungsmöglichkeiten anzubieten. In diesen Berufen gibt es tolle Entwicklungs- und Verdienstmöglichkeiten, die BexElektro verstärken möchte: Zum Beispiel reagieren die drei Fortbildungen zum Berufspezialisten auf die steigende Nachfrage in den Themenbereichen. Und der Bachelor und Master Professional sollen Nachwuchsführungskräften die Entscheidung für den Verbleib in der unternehmensbezogenen Laufbahn erleichtern.
Inno-vet.de: Wo stehen Sie aktuell mit dem Projekt?
Dr. Josephine Hofmann: Im ersten Jahr haben wir die Grundlagen für das Projekt gelegt durch die Bedarfserhebung bei den potenziellen Nutzern der Bildungsangebote und für die Ausgestaltung der Lernmodule. Wir haben außerdem intensiv analysiert, wie wir den Prozess des Trendscoutings und -monitorings und der Bewertung optimieren können. Gleichzeitig haben wir die erwähnte Bildungsmodulpyramide geschärft. Viel Aufwand geht in die Grundlagen für die Anrechnung und Anerkennung von Lernleistungen, in die Prüfung der verschiedenen Bewertungssysteme (ECTS und ECVET) und in die Umsetzung der DQR-spezifischen Anforderungen der Beschreibung und Dokumentation der Bildungsinhalte.
Inno-vet.de: Ihr Projekt hat insgesamt zehn Verbundpartner. Wie sind die Aufgaben verteilt?
Dr. Josephine Hofmann: Wir als Fraunhofer IAO und IAT der Universität Stuttgart machen die wissenschaftliche Gesamtleitung, die Koordination, das Projektbüro und den konzeptionellen Teil mit der Anrechnung und Evaluation. Dann haben wir als wichtige Partner die drei Bildungspartner ETZ, BFE und EBZ in Dresden, Stuttgart und Oldenburg. Sie haben die Aufgabe, die Lerninhalte zu entwickeln und anzubieten. Dann haben wir die Industriepartner Mennekes und Phoenix, die die technologischen Komponenten produzieren und so einen Bildungsbedarf erzeugen. Sie geben den Technologieinput und sind in die Trendanalyse und Weiterentwicklung der Lerninhalte involviert. Dann haben wir drei Handwerksbetriebe als Anwendungsunternehmen, die aus ihrer Bedarfsbrille beitragen, was sie an Fachkräften und Formaten brauchen, und die Bildungsangebote ausprobieren. Aber für die Erprobung und Evaluation brauchen wir noch weitere Partner, die Teilnehmer schicken, um zu überprüfen, ob diese Bildungsangebote funktionieren. Wissenschaft, Bildungsanbieter, Industrieunternehmen und Handwerk arbeiten hier also sehr eng zusammen.
Inno-vet.de: Wo liegen dabei die Herausforderungen für Ihr Projekt?
Dr. Josephine Hofmann: Eine Herausforderung ist es, dass wir das Gesamtportfolio an Bildungsmodulen mit drei Bildungsanbietern gemeinsam entwickeln und umsetzen. Das heißt, diese arbeiten vernetzt, im gemeinsamen Interesse und in der Idee, sich bestmöglich zu ergänzen. Was es aber von der Planung und Kommunikation noch komplexer macht.
Die andere Herausforderung ist der agile Prozess, es schneller zu machen: Das ist meine Erfahrung nach 20 Jahren mit Projekten im Bildungsbereich. Man kann tolle Sachen machen, bloß in der Regel braucht man viel zu lang. Bis Themen didaktisch umgesetzt sind und in einem Lernangebots-Portfolio drinstecken, sind locker ein bis zwei Jahre vorbei. Das können wir uns in so einem Kontext gar nicht mehr erlauben. Wir brauchen schnellere Entscheidungsstrukturen und Entwicklungsprozesse, einen modularen Aufbau bei gleichzeitig hoher Qualität und entsprechende Zulassungen durch die Kammern.
Inno-vet.de: Ein Begriff, der immer wieder fällt, ist „agil“. Was verstehen Sie darunter und warum ist das wichtig?
Dr. Josephine Hofmann: Agil heißt in diesem Kontext, auf die Innovationsintensität im Markt schnell zu reagieren, mit dem Ohr am Markt zu sein und aufzunehmen, welche neuen Bildungsbedarfe durch die Entwicklungen bei den Technologie- und Lösungsanbietern entstehen. Auch die Nachfrage der Unternehmen in Bezug auf Inhalte und Vermittlungsformate muss laufend beobachtet werden. Deswegen ist es eine super spannende Sache, den Prozess der Trendanalyse und -bewertung sowie der Entwicklung von Bildungsmodulen wirklich kollaborativ und schneller zu machen. Und agil heißt auch zu sagen: Wir machen da jetzt mal eine Version eins, und später machen wir eine Version zwei. Also sich davon zu verabschieden zu sagen, wir machen alles in vollster Schönheit, sind aber erst in vier Jahren fertig. Sondern schnell zu sein, aber natürlich trotzdem die Qualität zu haben.
Inno-vet.de: Was heißt das für Ihr Projekt?
Dr. Josephine Hofmann: Wir müssen bei bestehenden Bildungsangeboten alte Inhalte rausnehmen und neue einfügen können. Dafür müssen die Lehrgangsleitfäden und Materialien möglichst modular erstellt werden. Und gleichzeitig müssen wir das mit den Kammern, die das prüfen, abgestimmt bekommen. Zusätzlich müssen wir die geschäftliche Komponente im Blick haben: Die Bildungsanbieter müssen gemeinsam strategische Entscheidungen treffen, und das in möglichst enger und schneller Abstimmung.
Inno-vet.de: Ihr Projekt setzt zur Trendrecherche zur Entwicklung von Bildungsprodukten auch auf KI-basierte Verfahren. Was hat es damit auf sich?
Dr. Josephine Hofmann: Bei der Trendrecherche geht es darum, neue technologische Entwicklungen wahrzunehmen und auf ihre Relevanz zu prüfen. Hier müssen Technologieanbieter, Schulungsanbieter und bestmöglich auch nachfragende Kundenunternehmen möglichst eng zusammenarbeiten. Wir haben auch hier sorgfältig analysiert, wie das bislang umgesetzt wird. Sie haben, als Beispiel, einen Dozenten, der ist Fachverantwortlicher für das Schulungsgebiet Elektromobilität. Das ist ein Spezialist, er hat Bücher geschrieben über das Thema, ist Dozent und verantwortlicher Lehrmittelersteller. Er geht auf Konferenzen, steht im Austausch mit Kollegen, liest Verordnungstexte, hat seine erfahrene Art, Trends aufzunehmen. Das hängt also stark an persönlicher Erfahrung, an Netzwerken, an mehr oder minder klaren Strukturen und Prozessen.
Inno-vet.de: Wie wollen Sie das optimieren? Wie soll die Trendrecherche in Zukunft ablaufen?
Dr. Josephine Hofmann: Wir haben überlegt: Wie kann so ein Prozess in einer strukturierten Form, vielleicht auch technisch unterstützt, ablaufen? Dabei ist das Thema Webrecherche wichtig. Dafür haben wir einen Webcrawler entwickelt, der hier unterstützt. Das ist eine intelligente Suchmaschine, die automatisiert Suchanfragen durchführt und das bewertet, was reinkommt. Da steckt ein Stück weit künstliche Intelligenz dahinter. Bei der Schlagwortsuche in Google bekommen sie alles angezeigt, wo das Schlagwort „Elektromobilität“ drin vorkommt. Eine intelligente Suche ist aber in der Lage, den Kontext zu filtern und positive von negativen Berichten zu unterscheiden und diese übersichtlich zugänglich machen.
Wir systematisieren den Prozess der Trendrecherche unter anderem mit diesem Webcrawler, gleichen die Ergebnisse unter den drei Bildungsanbietern plus Technologieanbietern ab und am Schluss steht nach einem definierten Prozess der Trendbewertung und -einschätzung die strategische Entscheidung: Der Trend X ist so wichtig, dass wir ihn in Bildungsmodulen berücksichtigen.
Inno-vet.de: Welche Meilensteine stehen im Projekt als nächstes an?
Dr. Josephine Hofmann: Im Frühjahr und Herbst 2022 werden wir mit der Pilotierung dreier neuer Bildungsangebote starten: Die „Geprüften Berufsspezialisten“ für „Ladeinfrastruktur-Systeme“, für „Gebäudesystemintegration“ und für „erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Energiemanagementsysteme“ sind derzeit in der Entwicklung. Zeitlich leicht versetzt beginnen wir dann mit der Entwicklung der Inhalte für den Bachelor- bzw. den Master Professional für Elektromobilität.
Benjamin Dresen führte das Gespräch.